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Zermelo and the Skolem paradox. (English) Zbl 0976.03002

In der vorliegenden Arbeit wird ein bisher unveröffentlichtes Manuskript von Ernst Zermelo abgedruckt und ausführlich kommentiert. Das Manuskript wurde 1937 geschrieben und trägt den Titel “Der Relativismus in der Mengenlehre und der sogenannte Skolemsche Satz”. Zermelo hat darin versucht zu zeigen, dass das Skolemsche Paradoxon nur in der von Skolem angegebenen Version der Mengenlehre auf der Basis einer finitären Sprache erster Stufe auftritt, aber nicht in “seiner” Mengenlehre.
Die Autoren gehen wie folgt vor. Nach einer kurzen Einleitung wird in §1 zunächst das Skolemsche Paradoxon besprochen und seine historischen Hintergründe und seine Wirkung auf die Zeitgenossen erläutert. In §2 werden Zermelos Ansichten über die Grundlagen der Mathematik, Mengenlehre und Logik diskutiert. Insbesondere geht es dabei um den infinitären Charakter der Mathematik und wie man ihn nach Zermelos Auffassung mit infinitären Sprachen und infinitären Logik-Kalkülen zu fassen bekommt. In §3 wird schließlich das oben genannte Manuskript Zermelos vorgestellt und analysiert, wie sich Zermelo eine Widerlegung des Skolemschen Paradoxons dachte. Das Argument von Zermelo wird zunächst aus der heutigen Sicht untersucht und als “fehlerhaft” erkannt. Aber es wird mit Recht dagegengehalten, dass die heutige Auffassung von Mengenlehre und Logik dem “formalen Standpunkt” verpflichtet ist, und daher der Argumentation von Zermelo nicht gerecht wird. Das Argument von Zermelo wird daher auch von seinem eigenen Standpunkt aus untersucht. Hier zeigt es sich, dass der Argumentation Hypothesen zugrunde liegen und dass unter Voraussetzung dieser Hypothesen die Argumentation zwar in sich schlüssig ist, aber das Ergebnis nur noch geringe Aussagekraft hat.
Das Skolemsche Paradoxon kann auch heute noch viel Verwirrung stiften. Es hat zur Konsequenz, dass die Grundbegriffe der Mengenlehre keine absolute Bedeutung haben. Nach dem Satz von Löwenheim-Skolem gibt es beispielsweise abzählbare Modelle der Mengenlehre, in denen die Menge \(\mathbb{R}\) aller reellen Zahlen (von “außen” her gesehen) abzählbar ist, aber doch im Sinne des Modells (also von innen her gesehen, d.h. innerhalb des Modells) “überabzählbar” ist. Die Kardinalität einer Menge hängt also im Allgemeinen von dem Modell ab, in dem man sie ausrechnet.
Skolem nimmt in seiner Argumentation den sogenannten “formalen Standpunkt” ein, d.h. die Axiome sind zunächst nur Zeichenreihen und der “Inhalt” der Grundbegriffe wird erst durch die Gesamtheit der Axiome (implizit) definiert. Für Skolem ist es daher natürlich, auch Modelle des formalen Axiomensystems in Betracht zu ziehen und sogar zu konstruieren, in denen die Epsilon-Relation nicht mit der wahren Elementschaftsrelation (der Metatheorie) übereinstimmt (so genannte Nicht-Standard-Modelle), und ebenso die Bildung der Vereinigung nicht mit der wahren Bildung der Vereinigung übereinstimmt, etc.
Zermelo hatte schon 1908 in seiner damaligen Axiomatisierung der Mengenlehre den “inhaltlichen Standpunkt” eingenommen. Für ihn hat der Mengenbegriff einen Inhalt, der jeder Axiomatisierung vorangeht. In den Axiomen werden solche Aussagen über den Mengenbegriff niedergelegt, die seinen Inhalt richtig wiedergeben. Das Zeichen, das die Elementschaft bezeichnen soll, wird also nicht (wie bei Skolem et al.) als undefiniertes Zeichen verwendet, sondern hat eine vorgegebene Bedeutung. Die Mengenlehre Zermelos handelt nur von dieser einen Bedeutung der Elementschafts-Relation! Für Zermelo können daher nur die Standard-Modelle relevante mengentheoretische Information liefern.
In der kleinen Note aus dem Jahre 1937 will Zermelo zeigen, dass der Skolemsche Relativismus nicht auftritt, wenn man seinen Standpunkt zugrundelegt. Zermelo behauptete den folgenden Satz: Wenn es einen Bereich \(B_1\) von Mengen geben sollte, der in einem größeren Bereich \(B_2\) von Mengen enthalten ist, und das Kontinuum in \(B_2\) überabzählbar ist, dann ist das Kontinuum von \(B_1\) ebenfalls überabzählbar.
Statt beliebiger (nonstandard) Modelle läßt Zermelo nur “Bereiche” zu, d.h. Standard-Modelle, in denen die Zeichen \(\varepsilon,\cup,\cap\) und die Komprehensions-Operatoren nur die Standard-Interpretation haben. Insbesondere muss also jede Zusammenfassung von Mengen des kleineren Bereiches zu einer Menge des größeren Bereiches auch im kleineren Bereich vorhanden sein. Daraus folgt offenbar sofort die Behauptung von Zermelo.
Zermelo hat das Manuskript nur für sich selbst aufgeschrieben und nicht zur Publikation bestimmt. Er hat es nicht einmal an befreundete Kollegen weitergereicht. Es ist daher sicherlich fragwürdig, ob es Zermelo gegenüber fair ist, es posthum zu veröffentlichen.
Berichtigung: In Fußnote 20 wird gefordert, dass \(K\) auch unter Komplementen abgeschlossen sein sollte, aber das ist unnötig und wird auch nicht von Zermelo gefordert.

MSC:

03-03 History of mathematical logic and foundations
01A60 History of mathematics in the 20th century
00A30 Philosophy of mathematics
03E30 Axiomatics of classical set theory and its fragments
03E70 Nonclassical and second-order set theories
03B15 Higher-order logic; type theory (MSC2010)
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References:

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