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Théorie des distributions. Tome I. (French) Zbl 0037.07301

Actualités Scientifiques Industrielles No. 1091. Publications de l’Institut de Mathématique de l’Université de Strasbourg, No. IX. Paris: Hermann & Cie. 148 p. (1950).
In diesem Buch baut der Verf. die von ihm in früheren Arbeiten ohne ausführliche Beweise dargestellte Theorie der Distributionen, die die Analysis auf eine neue Grundlage stellt, systematisch auf. [Die erste Veröffentlichung ist in [Ann. Univ. Grenoble, Sect. Sci. Math. Phys., II. Sér. 21, 57–74 (1945)] erschienen und in dem Referat über die spätere Arbeit [Zbl 0030.126*)] analysiert worden. Dieses Ref. wird im folgenden als „Ref.“ zitiert.]
Auch in dem vorliegenden Buch mußten manche Beweise nur skizziert oder übergangen werden, um die Darstellung nicht zu umfangreich werden zu lassen. Es werden ziemlich weitgehende Kenntnisse aus der Topologie abstrakter Räume und der Funktionalanalysis vorausgesetzt, und häufig muß sogar von Sätzen aus diesen Gebieten Gebrauch gemacht werden, die in solchem Umfang noch nirgends explizit bewiesen sind. Das rührt daher, daß die meisten vorhandenen Untersuchungen sich auf Banachsche Räume beziehen, während die hier vorkommenden Räume nie zu dieser Kategorie gehören, sondern Fréchetsche Räume (vollständige, lokal konvexe Vektorräume mit abzählbarer Basis von Umgebungen) oder noch kompliziertere Räume sind. Verf. kündigt aber eine gemeinsam mit Dieudonné verfaßte Arbeit an, in der diese Räume systematisch untersucht und die benutzten Sätze bewiesen werden sollen. Wegen der großen Reichhaltigkeit des Stoffes und der Schwierigkeit der Deduktionen können von dem vorliegenden Buch, das den I. Band des Gesamtwerkes darstellt und in 5 Kapitel gegliedert ist, nur die äußeren Umrisse skizziert werden.
Für das 1. Kapitel, das die auf dem Vektorraum \((D)\) der unbeschränkt oft differenzierbaren Funktionen \(\varphi(x) = \varphi(x_1,\ldots,x_n)\) von \(n\) reellen Variablen mit kompaktem „Träger“ definierten Distributionen (lineare stetige Funktionale) \(T(\varphi)\) einführt, sowie für das 2. Kapitel über die Ableitung einer Distribution kann auf „Ref.“ verwiesen werden. Von den vielen jetzt hinzugefügten Beispielen sei die in der gewöhnlichen Analysis eine etwas abseitige Stellung einnehmende “Partie finie” eines divergenten Integrals (Hadamard) erwähnt, die in der Theorie der Distributionen eine ganz naturgemäße Einordnung findet, sowie die Deutung der Greenschen Formel als Aussage über den Laplaceschen Operator im Rahmen der Distributionen.
Das 2. Kapitel enthält auch eine Theorie des unbestimmten Integrals einer Distribution, wobei sich Sätze ergeben wie: Wenn eine Distribution eine Funktion zur Ableitung hat, so ist sie selbst eine absolut stetige Funktion („Funktion“ natürlich in dem Sinne „durch die Funktion definierte Distribution“ verstanden, siehe „Ref.“).
Das 3. Kapitel befaßt sich mit topologischen Räumen von Distributionen und der Struktur der Distributionen. War im 1. Kapitel in \((D)\) durch Definition eines Grenzbegriffs eine Pseudotopologie eingeführt worden, so wird diese nunmehr durch Definition eines Umgebungsbegriffes durch eine wirkliche Topologie ersetzt. Nach Einführung des Begriffs der beschränkten Menge in \((D)\) wird auch im Raum \((D')\) der Distributionen eine Topologie definiert: Distributionen \(T_j\in (D')\) konvergieren gegen 0 in \((D')\), wenn die Zahlen \(T_j(\varphi)\) gegen 0 konvergieren für jedes \(\varphi\in (D)\), und zwar gleichmäßig auf jeder beschränkten Menge \(B\) von Funktionen \(\varphi\in (D)\). Nachdem man über \(\lim T\) verfügt, läßt sich die früher eingeführte Ableitung \(\partial T/\partial x_k\), einer Distribution auch topologisch definieren:
\[ \frac{\partial T}{\partial x_k} = \lim_{h_k\to 0} \frac{T(\varphi(x - h_k)) - T(\varphi)}{h_k}\,. \]
Die Ableitung erweist sich als lineare stetige Operation: Wenn die Distributionen \(T_j\) gegen 0 streben, so konvergieren auch die Ableitungen gegen 0. Also kann z. B. ohne weiteres jede konvergente Reihe gliedweise und jedes Integral unter dem Integralzeichen differenziert werden. Hierin spricht sich außer in der Existenz der Ableitung für jede summierbare Funktion (siehe „Ref.“) eine der wichtigsten Eigenschaften der neuen Theorie aus. Umgekehrt ist im Kleinen (d. h. in jeder offenen Menge des \(\mathbb R^n\) mit kompakter Hülle) jede Distribution eine Ableitung einer stetigen Funktion (d. h. einer durch eine solche definierten Distribution). Im Großen gilt das im allgemeinen nicht, jedoch läßt sich jede Distribution auf unendlich viele Weisen als unendliche Summe von Ableitungen von stetigen Funktionen darstellen.
Im 4. und 5. Kapitel werden zwei Arten von Produkten von Distributionen definiert, das „direkte“ und das „multiplakative“. \(S_x\) und \(T_y\) seien zwei Distributionen auf den Vektorräumen \(X^m\) und \(Y^n\) mit den Dimensionen \(m\) und \(n\). Es seien \((D_x)\), \((D_y)\), \((D)_{x,y}\) die Funktionenräume \((D)\) hinsichtlich \(X^m\), \(Y^n\), \(X^m\times Y^n\). Dann ist das direkte Produkt \(W_{x,y} = S_x \times T_y [\varphi(x, y)]\) gleich
\[ S_x [T_y((\varphi(x, y))] = T_y [S_x(\varphi(x, y))]. \]
Ist speziell \(\varphi(x, y) = u(x)\, v(y)\) mit \(u\in (D_x)\), \(v\in (D_y)\), so ist \(W_{x,y} = S_x(u)\, T_y(v)\). Dieses Produkt wird später bei der Theorie der Komposition eine Rolle spielen.
Das multiplikative Produkt kann nicht allgemein für zwei Distributionen, sondern nur für eine Distribution als einen und eine unbeschränkt oft differenzierbare Funktion \(\alpha\) als anderen Faktor definiert werden, und zwar durch \(\alpha T\cdot\varphi = T\cdot \alpha\varphi\) [im 5. Kapitel wird \(T\cdot \varphi\) statt \(T(\varphi)\) geschrieben, um bei mehreren Buchstaben besser auseinander halten zu können, welches die Distribution und welches die Funktion ist, auf die sie ausgeübt wird].
Ist \(T\) eine Funktion \(f\), so ist \(\alpha T\) das übliche Produkt \(\alpha f\), denn dann ist nach der Definition
\[ \alpha T\cdot\varphi = T\cdot \alpha\varphi = f\cdot \alpha\varphi = \int\cdots\int f(\alpha \varphi)\,dx. \]
Dies ist aber gleich \(\int\cdots\int (\alpha f) \varphi)\,dx = \alpha\, f \cdot\varphi\), also im Sinne der Distributionen die Funktion \(\alpha\, f\).
Von größter Wichtigkeit für die Theorie der Integralgleichungen und der partiellen Differentialgleichungen ist das Problem der Umkehrung der durch das multiplikative Produkt definierten Operation, die Division. Es handle sich um den linearen Raum \(\mathbb R^n = \mathbb R^1\). Ist \(S\) eine gegebene Distribution und \(H(x)\) eine Funktion, so gibt es in jeder offenen Menge, in der \(H\) keine Nullstelle hat, eine eindeutige Distribution \(T\) mit der Eigenschaft \(H T = S\), d. h. \(T = S/H\). Ein Problem liegt also nur vor, wenn \(H\) Nullstellen hat.
Zuerst wird die Division durch Potenzen behandelt. Als Beispiel sei die Division durch \(x\) erwähnt: Es gibt unendlich viele Distributionen \(T\) mit \(x T = S\), je zwei unterscheiden sich nur um ein Multiplum der Diracschen Verteilung \(\delta\). Von hier aus gelangt man zur Division durch eine beliebige Funktion \(H\), die auf der reellen Achse nur isolierte Nullstellen endlicher Ordnung hat, indem man das Problem zunächst in der Nähe jeder einzelnen Nullstelle löst.
Von dieser Theorie werden wichtige Anwendungen auf Differentialgleichungen gemacht. Eine lineare partielle Differentialgleichung der Ordnung \(m\) mit einer Distribution \(T\) als Unbekannten ist von der Form \(DT = B\), wo der Differentialausdruck \(DD\) die Gestalt hat:
\[ DT = \sum_{\vert p\vert\le m}A_p(x)D^pT \]
\((p = \{p_1,\ldots,p_n\}\), \(\vert p\vert = p_1 + \ldots + p_n)\) und die \(A_p\) unbeschränkt oft differenzierbare Funktionen im gewöhnlichen Sinn sind. \(B\) ist eine gegebene Distribution. Der Überführung von \(T\) in \(DT\) in \((D')\) entspricht im Raume \((D)\) die Überführung von \(\varphi\) in \(D'\varphi\): \(DT\cdot\varphi = T\cdot D'\varphi\). Explizit ist
\[ D'\varphi = \sum_{\vert p\vert\le m}(-1)^{(\vert p\vert)} D^p [A_p(x) \varphi(x)] . \]
Die Differentialgleichung verlangt also für jedes \(\varphi\in (D)\): \(T\cdot D'\varphi - B\cdot \varphi = 0\). Sind \(T\) und \(B\) Funktionen, so kommen in diesen Gleichungen die gewöhnlichen Ableitungen von \(T\) nicht vor, so daß eine stetige, im gewöhnlichen Sinn nicht differenzierbare Funktion Lösung sein kann. Die Gleichung \(D'T = 0\) ist das, was in der klassischen Theorie adjungierte Gleichung heißt.
Für gewöhnliche Differentialgleichungen (Dimension des Variablenraumes gleich 1) ergibt sich: Ist die Gleichung regulär, d. h. kann sie nach der Ableitung höchster Ordnung aufgelöst werden, so hat sie für jedes \(B\) unendlich viele Lösungen, die aus einer speziellen durch Addition der üblichen Lösung der homogenen Gleichung, die eine unbeschränkt oft differenzierbare Funktion (also keine allgemeine Distribution) ist, hervorgehen. Hier ergibt sich also gegenüber der klassischen Theorie nichts Neues.
Bei partiellen Differentialgleichungen liegen die Verhältnisse ganz anders. Hier bilden zunächst einmal die Distributionslösungen eine lineare abgeschlossene Mannigfaltigkeit in \((D')\). In der gewöhnlichen Theorie ist das nur im elliptischen Fall richtig (jede gleichmäßige Grenze von harmonischen Funktionen ist harmonisch). Streben im hyperbolischen Fall die Lösungen (Funktionen im gewöhnlichen Sinn) gegen eine Grenzfunktion, so braucht diese nicht differenzierbar zu sein, so daß sie keine Lösung darstellt.
Nach kurzer Behandlung des Cauchyschen Problems wendet sich der Verf. den sogenannten Elementarlösungen zu, die in der klassischen Theorie als Lösungen der homogenen Gleichung mit einer Singularität von gewissem Typ in einem Punkt eine etwas vage Rolle spielen. Der Verf. definiert als Elementarlösung bezüglich des Differentialoperators \(D\) und des Punktes \(a\) jede Distribution \(e_{(a)}\) mit der Eigenschaft \(De_{(a)} = \delta_{(a)} = \) Diracsche Verteilung mit der Masse 1 in \(a\), und behandelt die Beziehung dieses Begriffs zu dem von anderen Autoren eingeführten.
Zur allgemeinen Charakterisierung der Lösungen übergehend, zeigt der Verf., daß im Gegensatz zu den gewöhnlichen Differentialgleichungen eine homogene partielle Differentialgleichung im Bereich der Distributionen andere als die gewöhnlichen Lösungen hat, die u. a. die in der klassischen Theorie nicht sauber zu bewältigenden nichtdifferenzierbaren Lösungen zu legitimieren gestatten. Nur im Fall der (in einem gewissen Sinn) elliptischen Gleichungen ist jede Lösungsdistribution auch eine Funktion im gewöhnlichen Sinn. Es wird eine große Anzahl von Gleichungstypen angegeben, die unter diese Kategorie fallen.
Das Kapitel schließt mit einer Anwendung auf die direkten Methoden der Variationsrechnung, die die Kraft der neuen Theorie aufs beste demonstriert.

MSC:

46Fxx Distributions, generalized functions, distribution spaces
46-02 Research exposition (monographs, survey articles) pertaining to functional analysis

Citations:

Zbl 0030.126