Paul, Dietrich PISA, Bach, Pythagoras. An enjoyable cabaret on education, music and mathematics. With music CD. (PISA, Bach, Pythagoras. Ein vergnügliches Kabarett um Bildung, Musik und Mathematik. Mit Musik-CD.) (German) Zbl 1134.00008 Wiesbaden: Vieweg (ISBN 3-8348-0041-4/hbk). xiv, 213 p. (2005). Der Vieweg-Verlag hat sich schon öfter mit der Herausgabe von Folklore, die Nichtmathematikern die omnipräsente Mathematik des täglichen Lebens näherbringen will, verdient gemacht. Als Beispiele können das Buch mit dem Titel “Alles Mathematik” von Martin Aigner und Ehrhard Behrends (2002; Zbl 1046.00001), Ehrhard Behrends’ Sammlung seiner sehr erfolgreichen Zeitungskolumne “Fünf Minuten Mathematik” (2006; Zbl 1104.00006) sowie Alexander Mehlmanns “Mathematische Seitensprünge” (2007; Zbl 1132.00004) dienen.Das vorliegende Büchlein fügt diesem Trio ein weiteres glänzendes Beispiel hinzu. Es entstand aus einem Kabarettprogramm, mit dem der Autor zwischen 2002 und 2005 mit großem Erfolg durch ganz Deutschland tingelte, und welches er nun in Buchform, in einem sehr persönlich gehaltenen Stil geschrieben und mit vielen Fußnoten versehen, einem größeren Kreis anbietet. Der Titel des Büchleins steht hierbei stellvertretend für die drei Bereiche Schulbildung, klassische Musik und Elementarmathematik, die in 13 Abschnitten genüsslich aufs Korn genommen werden.Im ersten Abschnitt (“Warm-up mit Musik” oder “Kennen Sie die Melodie?”) schildert der Autor, wie schwierig es für Kabarettbesucher sein kann, Gounods und Schuberts Ave Maria auseinanderzuhalten (und zu wissen, dass Gounod seine Liedbegleitung aus Bachs Wohltemperiertem Klavier ausgeliehen hat). Dass Prozentrechnung den Durchschnittsdeutschen, der “in Mathe schon immer schlecht war”, vor unüberwindliche Hürden stellt, wird mit schönen Beispielen im zweiten Abschnitt (“Von Bildungskanons und Bildungskanonen”) illustriert. Im dritten Abschnitt (“Vorsicht Mathematik” oder “…um die Hälfte verdoppelt”) bekommen Waldorflehrer, Journalisten, Bildungspolitiker und Fernsehmoderatoren, die bekanntlich ebenso gerne mit ihrer mathematischen Ignoranz kokettieren, ihr Fett weg, im vierten Abschnitt (“Strenge Polygamie” oder “Über schöne und weniger schöne Musik”) sind die Musiker, Musikliebhaber, Musikwissenschaftler, Musikkonsumenten und Musikberieseler dran. Etwas enttäuschend ist der fünfte Abschnitt (“Mathematik in erster Näherung” oder “Lob der Leichtigkeit”), weil der Autor die zu Beginn gestellte anspruchsvolle Frage “Was ist Mathematik” nicht einmal ansatzweise zu beantworten versucht. Ein schönes Hohelied der Polyphonie singt er dagegen im sechsten Abschnitt (“Polyphonie” oder “Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit”) anhand Bachs meisterlichen Choralvorspiels zu “Wachet auf”. Auf der beigefügten CD erklingt der Beginn dieses Choralvorspiels zuerst in einer wirklich scheußlichen Keyboard-Marimbaphon-Zupfbass-Variante (Nr. 18), danach zum Glück noch in einer anderen Variante (Nr. 19), die sich Busonis bekannter Klavierbearbeitung schon besser nähert.Nachdem begnadete Theaterregisseure inzwischen schon alle möglichen Ferkeleien auf den Bühnen Deutschlands ausbreiten und dafür in der Regel von Intellektuellen und Theaterkritikern enthusiastischen Beifall erhalten, begeht der Autor im siebten Abschnitt (“Mathematik und Fußball” oder “Kunst muss weh tun!”) den letzten noch möglichen Tabubruch und bringt Mathematik auf die Bühne. Dies ist natürlich eine äußerst “zahme” Mathematik, denn das Schlimmste, was dem Publikum zugemutet wird, ist die Induktionsaufgabe \(1+2+3+\cdots+ (n-1)={1\over 2}(n^2- n)\). Im achten Abschnitt (“Kontrapunktische Bastelstunde” oder “Lob des Handwerks”) kritisiert der Autor zu Recht die “Verwurstung” klassischer Musikmotive als Händitöne und Werbemelodien. Der neunte Abschnitt (“Angewandte Mathematik” oder “Warum es auf Gran Canaria so schön ist”) beginnt mit einer wunderbaren Schilderung der Studien- und Berufswünsche deutscher Abiturienten; deren Intelligenz wird dann anhand der Frage analysiert, warum es bei uns im Sommer warm und im Winter kalt ist, wobei der Autor selbst eine merkwürdig umständliche und langatmig verklausulierte Erklärung gibt.Der größte gemeinsame Teiler und insbesondere die Teilerfremdheit zweier natürlicher Zahlen haben Anwendungen in der Tanz- und Unterhaltungsmusik, wie uns im zehnten Abschnitt (“Bruchrechnen” oder “Polyphonie, die in die Beine geht”) erklärt wird. Es ist ein Genuss zu lesen, wie der Autor sich im elften Abschnitt (“Rechnen heute” oder “Die Hälfte ist immer jeder Zweite”) seinen berechtigten Zorn über die Reformgläubigkeit dümmlicher Bildungspolitiker und ihre Propagierung moderner “Spaßpädagogik” von der Leber schreibt. En passant erfährt der Leser hier auch etwas über die Irrationalität von \(\sqrt{2}\) und \(\root 12\of{2}\) sowie den Zusammenhang mit der gleichschwebenden Temperatur. Reichlich übertrieben wirkt dagegen die “Zahlenmystik”, die der Autor im zwölften Abschnitt (“Endlich die Fuge” oder “Von numerologischem Nutz und Unnutz”) anhand der C-Dur-Fuge des 1. Wohltemperierten Klaviers treibt; wenn man nur lange und willkürlich genug bastelt, kann man damit doch jeden Quatsch “beweisen”! Ganz wunderbar ist der dreizehnte Abschnitt (“Wie man mit wirklich sehr großen Mengen umgeht” oder “Endlich unendlich!”), in dem der Autor zeigt, dass man den Cantorschen Beweis der Abzählbarkeit von \(\mathbb{Q}\) und der Nichtabzählbarkeit eines reellen Intervalls durchaus auch mit Äpfeln und Birnen mathematisch sauber erklären kann.Das Buch schließt mit zwei Zusatzkapiteln, einem musikalischen und einem mathematischen. Im Anhang A (“Musikalische Kombinatorik” oder “So einfach ist komponieren”) wird die Behauptung, es gäbe einen Zusammenhang zwischen Mathematik und Musik, durch eine “Pseudo-Formalisierung” musikalischer Strukturen belegt. Nach Meinung des Rezensenten ist diese Behauptung schlichtweg Unsinn, und sie wird auch nicht dadurch richtiger, dass es schon viele unselige Arbeiten und sogar Bücher darüber gibt. Der anschließende Anhang B (“Eine kleine mathematische Etüde” oder “Wie man mit Hilfe der Mathematik eine Zugfahrt verkürzen kann”) ist sicher der mathematisch anspruchsvollste Teil, bei dem der homo non-mathematicus simplex vor der Ansammlung von Formeln wohl kapitulieren dürfte. Einer der Höhepunkte ist hier aber die Fußnote mit dem Dialog im Stellwerk Regensburg Hbf. auf S. 184f., der dem Rezensenten, der selbst Mathematiker, Musiker und Bahn-comfort-Stammkunde ist, lange Minuten ungebremster Heiterkeit bescherte.Wirklich humorvolles Kabarett ist selten, aber dieses Buch hebt sich aufgrund seines hohen Niveaus ausgesprochen wohltuend vom peinlichen Slapstick und Kalauerhumor des deutschen “Unterschichtenfernsehens” (H. Schmidt) ab. Es ist ein sehr dicht geschriebener Text, in dem ein wahrer Kenner beider Aspekte, des mathematischen ebenso wie des musikalischen, mit gnadenloser Beobachtungsgabe, scharfsinnigem Humor und virtuoser Sprachbeherrschung brilliert. Hierbei versteckt der Autor die schönsten “Gemeinheiten” oft in den Fußnoten; dass er dabei – eines Max Goldt würdig – bisweilen vom Hundertsten ins Tausendste kommt, mindert das Lesevergnügen keineswegs, sondern erhöht es sogar. Halbwegs musikbeflissene Leser benötigen übrigens die beigefügte CD kaum, weil man sich die Musikbeispiele sehr gut anhand der entsprechenden Notentexte vorstellen kann; höchstens bei einigen “Karaoke-Beispielen” wie der Nr. 22 ist die CD etwas hilfreich. Natürlich schleppt ein Kabarettist für Musikbeispiele kein Klavier, sondern nur ein Keyboard mit sich herum; es ist allerdings unverständlich, warum der Autor für die Musikbeispiele auf der CD kein richtiges Klavier benutzt hat.Man muss dem Autor Dank und Anerkennung zollen für diese Meisterleistung, aber ebenso dem “grund- und erzseriösen wissenschaftlichen Vieweg-Verlag” (D. Paul) für die Aufnahme dieses Buchs in sein Programm: Kabarett vom Feinsten! Reviewer: Jürgen Appell (Würzburg) Cited in 3 Reviews MSC: 00A08 Recreational mathematics 00A05 Mathematics in general 97A20 Recreational mathematics, games (education) (MSC2010) 97-01 Introductory exposition (textbooks, tutorial papers, etc.) pertaining to mathematics education Citations:Zbl 1046.00001; Zbl 1104.00006; Zbl 0574.00016; Zbl 0729.00008; Zbl 1104.00003; Zbl 1132.00004 × Cite Format Result Cite Review PDF