Blumenthal, O. Über Modulfunktionen von mehreren Veränderlichen. (Erste Hälfte.). (German) JFM 34.0466.01 Math. Ann. 56, 509-548 (1903). Von den Funktionen mehrerer Veränderlichen waren bis jetzt nur die algebraischen Funktionen und die Abelschen Funktionen genauer untersucht worden. Da wir über die allgemeine Theorie der Funktionen mehrerer Veränderlichen nur wenig wissen, sind neue Beispiele sehr erwünscht. Eine solche neue Funktionenklasse sind die Modulfunktionen von mehreren Veränderlichen, mit denen sich Hilbert in den Jahren 1893-94 beschäftigt hat, ohne jedoch seine Untersuchungen, die noch einer genaueren Ausarbeitung bedurften, der Öffentlichkeit zu übergeben. Er hat dann später seine Notizen, in denen die Gedankengänge nur kurz und ohne Beweis angedeutet waren, Blumenthal überlassen, der sie zur Grundlage seiner im Juli 1901 der Göttinger philosophischen Fakultät vorgelegten Habilitationsschrift gemacht hat.Über Hilberts Notizen berichtet Blumenthal folgendermaßen: “Die Modulgruppe ist die Gruppe der linearen Substitutionen mit ganzen rationalen Koeffizienten und der Determinante 1. Sie ‘gehört’ also zu dem Körper \(R\) der rationalen Zahlen. Legt man nun an Stelle des Körpers \(R\) einen beliebigen Zahlkörper \(k\) vom \(n\)-ten Grade zugrunde, der mit seinen sämtlichen Konjugierten reell ist, so gelangt man zu einer analogen Gruppe in \(n\) Variablen. Man ordnet jedem der konjugierten Körper \(k^{(i)}\) eine komplexe Variable \(x^{(i)}\) zu und betrachtet die Gruppe \(H\) der simultanen Substitutionen \[ y=\frac{\alpha x+\beta}{\gamma x+\delta},\dots, y^{(n-1)}=\frac{\alpha^{(n-1)}x^{(n-1)}+\beta^{(n-1)}}{\gamma^{(n-1)}x^{(n-1)}+\delta^{(n-1)}}\,. \] Dabei sind \(\alpha,\beta,\gamma,\delta\) ganze Zahlen des Körpers, deren Determinante \(\alpha \delta - \beta \gamma\) eine total (d. h. mit allen ihren konjugierten) positive Einheit des Körpers ist. Die Gruppe \(H\) hat ganz analoge Eigenschaften wie die gewöhnliche Modulgruppe. 1. Sie transformiert den \(\frac{1}{2^n}\)-Teilraum, in welchem die Koordinaten \(x,x',\dots,x^{(n-1)}\) positive imaginäre Bestandteile haben, in sich, ist in diesem Teilraum ‘eigentlich diskontinuierlich’ und besitzt einen Fundamentalbereich \(D\). 2. Es lassen sich Funktionen konstruieren, welche sich zu den Substitutionen von \(H\) invariant verhalten, ebenso wie die Modulfunktionen zu der Modulgruppe. Mit anderen Worten: es gibt Funktionen des Fundamentalbereiches von \(H\). Man gewinnt solche Funktionen als Quotienten von Reihen, welche den Eisensteinschen oder Poincaréschen in der Theorie der Modulfunktionen, bezw. automorphen Funktionen analog sind. Die Reihen konvergieren unbedingt und gleichmäßig im Innern des \(\frac{1}{2^n}\)-Teilraums und haben auf dem Rande eine natürliche Grenze. 3. Für \(2n\)-fach periodische Funktionen von \(n\) Veränderlichen hat Weierstraß zwei allgemeine Sätze ausgesprochen: I. Durch \(n\) voneinander unabhängige \(2n\)-fach periodische Funktionen ist jede andere algebraisch ausdrückbar. II. Durch \(n + 1\) geeignet gewählte \(2n\)-fach periodische Funktionen ist jede andere rational ausdrückbar. Diese Sätze gelten auch für die Funktionen des Fundamentalbereiches \(D\). Es lassen sich nun \(n\) voneinander unabhängige Reihenquotienten konstruieren. Man kann also alle Funktionen des Fundamentalbereiches durch Reihenquotienten algebraisch und sogar – wie sich weiterhin ergibt – rational ausdrücken. 4. Die interessanteste Analogie mit den Modulfunktionen aber bezieht sich auf den Zusammenhang der neuen Funktionen mit dem Transformationsproblem der Thetafunktionen mehrerer Veränderlichen. Herr Hilbert zeigt hier, daß seine Funktionen bei diesem Problem eine ganz ähnliche Rolle spielen, wie die Modulfunktionen in bezug auf die elliptischen Funktionen. Er leitet insbesondere eine Formel ab, aus der sich schließen läßt, daß man zu Funktionen des Fundamentalbereichs gelangen kann, indem man die Quotienten von Theta-Nullwerten bildet.” In dem ersten Teile der vorliegenden ersten Hälfte wird die Existenz eines Fundamentalbereichs für die Gruppe \(H\) bewiesen und gezeigt, wie man ihn in jedem einzelnen Falle tatsächlich herstellen kann. Der Fundamentalbereich ist einfach zusammenhängend, d. h. es existiert in seinem Innern keine Mannigfaltigkeit der \((2n-1)\)-ten Dimension, die sich nicht auf eine Mannigfaltigkeit geringerer Dimension zusammenziehen läßt. Er hat mit dem Rande des \(\frac{1}{2^n}\)-Teilraums, auf welchem die Gruppe nicht mehr eigentlich diskontinuierlich ist, nur einen Punkt im Unendlichen gemein. Als Anhang folgt noch der Beweis eines in den Hilbertschen Notizen ausgesprochen zahlentheoretischen Satzes über Einheiten, der sich mit Hülfe der hier entwickelten Raumreduktion einfach erledigen läßt.Im zweiten Teile handelt es sich darum, Funktionen aufzustellen, welche durch jede Substitution der Gruppe \(H\) in sich übergeführt werden. Die Darstellung dieser Funktionen durch Reihen, der Beweis ihrer Konvergenz, die Betrachtungen über die Unabhängigkeit der Funktionen voneinander erfolgen nach Methoden, die von Picard herrühren; einige auf den vorliegenden Fall passende Modifikationen hatte schon Bourget (1898) gegeben. Ein besonders wichtiger Punkt ist das Verhalten der Reihen an der wesentlich singulären Stelle im Unendlichen. Mit Benutzung der Vorarbeiten von Picard und Bourget findet Blumenthal, daß die Reihen sich im Unendlichen nach aufsteigenden Potenzen gewisser Variablen \(u', u'',\dots , u^{(n)}\) entwickeln lassen, die Exponentialfunktionen mit linearen Funktionen der \(x,x',\dots,x^{(n-1)}\) im Exponenten sind. In der zweiten Hälfte soll ein exakter Beweis der Weierstraßschen Sätze I und II gegeben werden; die Beweise von Poincaré und Wirtinger erklärt Blumenthal für nicht einwandfrei. Dagegen ist für die Untersuchungen über den Zusammenhang mit den Thetafunktionen eine selbständige Abhandlung in Aussicht genommen. Reviewer: Stäckel, Prof. (Hannover) Cited in 5 ReviewsCited in 28 Documents JFM Section:Siebenter Abschnitt. Funktionentheorie. Kapitel 1. Allgemeines. PDF BibTeX XML Cite \textit{O. Blumenthal}, Math. Ann. 56, 509--548 (1903; JFM 34.0466.01) Full Text: DOI EuDML OpenURL References: [1] Fonctions algebriques de deux variables. (Paris, Gauthier-Villars, 1897-1901) [2] Acta Mathematica 28 (1900). [3] Acta Mathematica 19 (1895). [4] Hanptsächlich: Abhandlungen aus der Funktionenlehre, pag. 105-164, Crelles Journal 89 (1880); Werke II, 135-188 und 125-133. [5] Eisenstein, Werke, pg 218ff., s.a. Hurwitz, Math. Ann. 18 (1881), pg.546. [6] Poincaré, Acta 1 (1882), pg. 207; 8 (1884) pg. 88. [7] Brief an Borchardt, Crelles Journal 89 (1880) und Werke II, pg. 125ff. [8] Siehe besonders Acta 1, pg. 310ff. [9] l. c. Acta 1, 3. [10] Société Mathématique de France 15 (1887). [11] Thèses de la Faculté des Sciences de Paris 1898; Annales de la Faculté de Toulouse 12 (1898). [12] Comptes Rendus 124 (1897, I). · Zbl 0285.00008 [13] Wiener Akademie, Math.-Naturw. Klasse, 108 (1899). [14] Fonctions hyperfuchsiennes, Acta 1, 2, 5, (1882-1884); Fonctions hyperabéliennes, Journal de Liouville, IV, 1 (1885). [15] Eine genaue Ausarbeitung eines Spezialfalles von fonctions hyperfuchsiennes gibt Herr. R. Alezais, Sur une classe de fonctions hyperfuchsiennes (Paris, Gauthier-Villars, 1901). [16] Hilbert, Göttinger Nachrichten 1898, pg. 374. [17] Hilbert, Relativ-quadratischer Zahlkörper, Math. Ann. 51 (1899), pg. 21 [18] Die GruppeH gehört zu der allgemeinen Klasse von Gruppen, welche Herr Hurwitz in der Abhandlung ?Die unimodularen Substitutionen in einem algebraischen Zahlenkörper? (Göttinger Nachrichten 1895, pg. 332ff.) in zahlentheoretischer Hinsicht diskutiert hat. Wir erwähnen insbesondere das Hurwitzsche Resultat, daß die GruppeH aus einer endlichen Anzahl erzeugender Substitutionen zusammengesetzt werden kann. [19] Poincaré, Acta 3, pg. 57; Fricke-Klein, Automorphe Funktionen I, pg. 62. [20] Fricke, Math. Ann. 42 (1893), pg. 569f · JFM 25.0726.01 [21] Hilbert, Alg. Zahlkörper, pg. 332. [22] Hilbert, Alg. Zahlkörper, pg. 221. [23] Minkowski, Geometrie der Zahlen, pg. 104. Hilbert, Alg. Zahlkörper, pg. 210. [24] Vergl. Hurwitz, Modulfunktionen und Multiplikatorgleichungen, Math. Ann.18, (1881), pg. 534. [25] s. Poincaré, Annales de l’Ecole Polytechnique, sér. 2, cah. 1, pg. 19; Picard-Simart, 1. c., I, pg. 28. Man betrachtet dabei nur ?einfache? Mannigfaltigkeiten, welche ein Inneres und ein Äußeres besitzen. [26] Picard, fonctions hyperfuchsiennes, Acta 1 (1882), 5 (1884); Soc. Math. de France 15 (1887); fonctions hyperabéliennes, Journal de Liouville, IV, 1 (1885). [27] Bourget, Annales de la Faculté de Toulouse, 12 (1898); Thèses de la Faculté des Sciences de Paris 1898. [28] Siehe besonders Acta 1, pg. 310ff.; Liouville, IV, 1, pg. 109ff. [29] Siehe Picard, Soc. Math. 15 (1887) und Bourget, Thèse, pg. 78. [30] Acta 5, pg. 166 ff. [31] Picard, Acta 5, pg. 171; Bourget, 1.c., pg. 85. [32] Göttinger Nachrichten 1895, pg. 332 ff. [33] Näheres in Teil III. This reference list is based on information provided by the publisher or from digital mathematics libraries. Its items are heuristically matched to zbMATH identifiers and may contain data conversion errors. It attempts to reflect the references listed in the original paper as accurately as possible without claiming the completeness or perfect precision of the matching.