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Le Hasard. (French) JFM 45.0343.02

Paris: Librairie Félix Alcan. IV + 312 S. \(16^{\text{mo}}\) (1915). [Nouvelle collection scientifique. Directeur: Emile Borel.] (1915).
Den Zwecken dieser Sammlung gemäß sucht der Verf. den philosophischen Inhalt, die grundlegenden Gedanken der Wahrscheinlichkeitsrechnung einem größeren Leserkreis verständlich zu machen, läßt daher die rein mathematischen Betrachtungen, besonders die analytischen Herleitungen, möglichst zurücktreten. “Mein Hauptzweck ist der gewesen, die Rolle des Zufalls in den verschiedenen Zweigen der wissenschaftlichen Erkenntnis der Einsicht klarzulegen. Diese Rolle hat seit einem halben Jahrhundert an Bedeutung ungemein zugenommen. Jetzt ist der Augenblick gekommen, wo wir uns zu fragen haben, ob wir nicht, fast ohne es zu merken, bei einer wahren wissenschaftlichen Umwälzung Zuschauer gewesen sind. Die Wissenschaft ist während zweier Jahrhunderte durch das berühmte Newtonsche Gesetz beherrscht worden; dieses hat das Reich der theoretischen Mechanik errichtet. Unter Annahme dieses Gesetzes als Grundlage oder Vorbild haben Lagrange, Laplace, Coulomb, Gauß, Fresnel, Ampère, Cauchy den Bereich der mechanischen Erklärungen erweitert. Aber trotz ihres Genius und ihrer Bemühungen hat sich das oberste Ziel, die mechanische Erklärung des Weltalls, ihnen immer verborgen bis zu dem Tage, wo die Entdeckung und Erforschung der Radioaktivität gezeigt haben, daß die mechanischen Erklärungen zuweilen ganz ungenügend sind und nun für die statistischen Erklärungen die Bahn freigeben müssen. Statistisch eine Erscheinung erklären, das bedeutet: dahin zu gelangen, es als die Resultante einer sehr großen Anzahl unbekannter Erscheinungen anzusehen, die von den Gesetzen des Zufalls beherrscht werden. Wenn man dazu käme, so das Gesetz der allgemeinen Anziehung zu “erklären”, so würde man das geheimnisvolle Wesen dieses Gesetzes etwas entschleiern, das so schön durch seine Einfachheit ist, aber auch, wie man zugestehen muß, so widersinnig in seiner klassischen Fassung, nach der die Anziehung sich augenblicklich ohne Zwischenvermittlung bis zu den größten Entfernungen überträgt. Dieses Problem ist vielleicht eines des bedeutsamsten den gegenwärtigen Wissenschaft.”
Das Buch zerfällt in drei Teile: I. Die Entdeckung der Gesetze des Zufalls. II. Die Anwendung der Gesetze des Zufalls. III. Der Wert der Gesetze des Zufalls.
Der erste Teil umfaßt vier Kapitel. Von ihnen behandelt das erste den Zufall und seine natürlichen Gesetze, d. h. die Grundlagen der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Die Anwendung auf die Gesetze des Spieles Kopf oder Wappen dient dann im zweiten Kapitel dazu, die Vorgängewandte bei der Auswertung der Wahrscheinlichkeit allseitig zu beleuchten. Die unstetigen und die stetigen Wahrscheinlichkeit werden im dritten Kapitel ausführlich erörtert; besonders wird auf die Kritik Poincarés eingegangen und der Grund seiner Einwände aufgedeckt und widerlegt. Das vierte Kapitel beschäftigt sich mit den oft angezeifelten Wahrscheinlichkeiten der Ursachen und widerlegt, wie auch schon im vorangehenden Kapitel, die von Bertrand erhobenen Anfechtungen.
Wenn somit der erste Teil die herkömmlichen Lehren der Wahrscheinlichkeit zergliedernd vorführt, zo wird im zweiten Teile, wo die Anwendungen der Gesetze des Zufalls auf (Kap. IV) die soziologischen und biologischen Wissenschaften, (Kap. V) die physikalischen Wissenschaften, (Kap. VII) die mathematischen Wissenschaften vorgeführt werden, besonders die Schlußweise näher besprochen, die in der statistischen Mechanik ihre wissenschaftliche Durcharbeitung gefunden hat. Wir heben aus Kap. V als kennzeichnend nur hervor die Namen Auguste Comte, Bertrand (der Durchschnittsmensch), Poincaré und seine Kritik, Mendel und seine Gesetze. Die physikalischen Anwendungen in Kap. VI bedürfen nur des Hinweises auf die kinetische Theorie der Materie, die Radioaktivität, die Entropie und die Theorie der Quanten, um den Leser in den Umkreis der gegenwärtig am meisten behandelten Fragen zu versetzen. Unter den die mathematischen Wissenschaften betreffenden Ausführungen von Kap. VII wollen wir unter bloßem Hinweis auf die Fragen der inkommensurablen Größen die Aufmerksamkeit auf den Zusammenhang dieser Fragen mit der Mengenlehre hinweisen, der dem Leser nahegelegt wird.
Der dritte Teil (S. 213-308) über den Wert der Gesetze des Zufalls in den Kapiteln VIII: der praktische Wert der Gesetze des Zufalls, IX. der wissenschaftliche Wert der Gesetze des Zufalls, X. die philosophische Tragweite der Gesetze des Zufalls – dürfte gerade den weiteren Leserkreis am meisten anziehen und hoffentlich auch von vielen vorgefaßten irrigen Meinungen befreien. “Wenn die Anwendungen auf die exakten Wissenschaften die Theorie Wahrscheinlichkeiten werden vervollkommnet haben, wird die Einführung der Gesetze in die biologischen, soziologischen, psychologischen usw. Wissenschaften zugleich leichter und fruchtbarer gemacht sein.”