×

Zur Abzählung der reellen Wurzeln algebraischer Gleichungen. (German) JFM 60.0059.06

Für die Anzahl \(N(\alpha,\beta )\) der reellen Wurzeln einer Gleichung \[ f(x) = a_0x^n + a_1 x^{n-1}+\cdots +a_n = 0 \] (mit reellen Koeffizienten \(a_\nu \)) im Intervall \(\alpha \leq x\leq \beta \) gelten bekanntlich die folgenden Abschätzungen:
1. Bedeute \(V(x)\) die Anzahl der Verzeichenwechsel in der Reihe \(f(x),f'(x),\dots,f^{(n)}(x)\), dann ist \[ N(\alpha,\beta )\leq V(\alpha )-V(\beta ) = BF(\alpha,\beta ) \] mit \[ N(\alpha,\beta ) \equiv BF(\alpha,\beta )\pmod 2,\text{ falls } f(\alpha )f(\beta )\neq 0 \] (Budan-Fourierscher Satz).
2. \(\quad N(0,\infty )\leq V(0)\text{ und } N(0,\infty )\equiv V(0)\pmod 2,\text{ falls } f(\alpha )\neq 0\)
(Regel von Descartes). Durch Übergang zur Gleichung \[ g(y) = (1+y)^n f\Bigl (\frac {\alpha +\beta y}{1+y}\Bigr ) = 0 \] und Anwendung der Descartesschen Regel auf \(g(y)\) gewinnt Jacobi eine Schranke für \(N(\alpha,\beta )\): \[ N(\alpha,\beta )\leq DJ(\alpha,\beta )\text{ und } N(\alpha,\beta )\equiv DJ(\alpha,\beta )\pmod 2,\text{ falls } f(\alpha )f(\beta )\neq 0 \] (Descartes-Jacobische Regel; J. f. M. 13 (1835), 348).
3. \(L(\alpha,\beta )\) bedeute die Anzahl der Vorzeichenwechsel in der Reihe \[ \begin{aligned} &f(\alpha ),\\ &f(\alpha ) + \frac {\beta -\alpha }{1!} f'(\alpha ),\\ &f(\alpha )+\frac {\beta -\alpha }{1!} f'(\alpha ) + \frac {(\beta -\alpha )^2}{2!} f''(\alpha ),\\ &\hbox to60mm{\dotfill }\\ &f(\beta ). \end{aligned} \] Dann ist \[ N(\alpha,\beta )\leq L(\alpha,\beta )\text{ und }N(\alpha,\beta )\equiv L(\alpha,\beta )\pmod 2, \] falls \(f(\alpha )f(\beta )\neq 0\) (Satz von Laguerre; Oeuvres 1, S. 10). Verf. beweist zunächst, daß die zweite dieser Regeln den beiden andern überlegen ist; es ist nämlich stets \[ DJ(\alpha,\beta )\leq BF(\alpha,\beta ) \] und die Differenzen beider Seiten eine gerade Zahl, falls \(f(\alpha )f(\beta )\neq 0\) (§1). Ebenso ist stets \[ DJ(\alpha,\beta )\leq L(\alpha,\beta ) \] und die Differenz beider Seiten gerade, falls \(f(\alpha )f(\beta )\neq 0\) (§2). Die erste dieser Regeln wurde im Fall quadratischer Polynome von F. Klein bewiesen (1892; F. d. M. 24, 781 (JFM 24.0781.*); Gesammelte Abhandlungen 2, 198-208; vgl. auch Weber, Lehrbuch der Algebra I, 2. Aufl. (1899; F. d. M. 30, 93 (JFM 30.0093.*)), 354-357, wo die hier entschiedene Frage nach der Güte der Kriterien bei allgemeinen \(n\) aufgeworfen wird). Der Beweis wird mit Hilfe sogenannter “variationsvermindernder” linearer Transformationen geführt (vgl. die Arbeit des Verf. in M. Z. 32 (1930), 321-328; F. d. M. \(56_{\text I}\), 106).
Im zweiten Teil der Arbeit (§3) wird die Vorzugsstellung der Descartesschen Regel in einer anderen Richtung dargetan. Von einer Funktionenfolge \[ \varphi _0(x),\varphi _1(x),\varphi _2(x),\dots,\varphi _n(x) \] sagt man, sie genüge im Intervall \(\alpha \leq x\leq \beta \) der Descartesschen Regel, wenn für beliebige reelle Zahlen \(c_0,c_1,\dots,c_n\) stets die Anzahl \(N(\alpha,\beta )\) der im Intervall \(\alpha \leq x \leq \beta \) gelegenen Nullstellen (mehrfache mehrfach gezählt) von \[ f(x) = c_0\varphi _0(x) + c_1\varphi _1(x)+\cdots + c_n\varphi _n(x) \] kleiner oder gleich der Anzahl der Vorzeichenwechsel der Reihe \(c_0,c_1,\dots,c_n\) ausfällt (Vgl. Pólya & Szegö, Aufgaben und Lehrsätze aus der Analysis, Berlin 1925 (F. d. M. 51, 173 (JFM 51.0173.*)), Bd. II, S. 52-53). Verf. zeigt: Eine Polynomenfolge der Gestalt \[ \begin{aligned} &\varphi _0(x) = a_{00},\\ &\varphi _1(x) = a_{10} + a_{11}x,\\ &\hbox to 40mm{\dotfill }\\ &\varphi _n(x) = a_{n0}+a_{n1}x+\cdots +a_{nn}x^n,\\ \end{aligned} \] mit \(a_{00}>0\), \(a_{11}>0,\dots,a_{nn}>0\) genügt dann und nur dann im Intervall \((0,\infty )\) der Regel von Descartes, wenn die Koeffizientenmatrix \(A=(a_{ij})\) (\(a_{ij} = 0\) gesetzt, wenn \(i<j\)) total positiv ist, d. h. wenn alle Minoren jeder Ordnung von \(A\) nicht negativ sind. Hieraus folgt insbesondere das folgende interessante Ergebnis: Die klassische Regel von Descartes (die mit den Polynomen \(1,x,x^2,\dots,x^n\) arbeitet) gibt eine bessere obere Schranke für die Nullstellenanzahl als irgendeine ähnliche, mit Hilfe von Polynomen \(\varphi _\nu (x)\) der obigen Gestalt gebildete Regel.
Zum Schluß wird gezeigt, daß \(DJ(\alpha,\beta )\) und somit auch \(BF(\alpha,\beta )\) und \(L(\alpha,\beta )\) obere Schranken für die Anzahl der Nullstellen von \(f(x)\) in der Kreislinie \[ -\frac {\pi }{n}<\operatorname {arg}\frac {x-\alpha }{\beta - x} < \frac {\pi }{n} \] der komplexen Zahlenebene liefern (§4).

PDFBibTeX XMLCite
Full Text: DOI EuDML

References:

[1] Istx=? einek-fache Wurzel der Gleichung (1) (k>=0), so istV (?+0)=V (?),V (?-0)=V (?)+k+2p (p>=0 und ganzzahlig). Aus Satz I folgt 547-1 alsoN (?, ?]=N (?, ?)+k=V (?)-V (?)?2r (r>=0, und ganzzahlig). Diese Versch?rfung des Budan-Fourierschen Satzes stammt von A. Hurwitz, Math. Annalen71 (1912), S. 584-591. · JFM 43.0146.01 · doi:10.1007/BF01456810
[2] C. G. J. Jacobi, Observatiunculae ad theoriam aequationum pertinentes, Crelles Journ.13 (1835), S. 348. · ERAM 013.0499cj
[3] Siehe I. Schoenberg, ?ber variationsvermindernde lineare Transformationen, Math. Zeitschr.32 (1930), S. 321-328. Hier wird nur der folgende Spezialfall des dort bewiesenen Satzes 1 angewendet: Wenn alle Minoren s?mtlicher Ordnungen der Koeffizientenmatrix C=?cik? einer linearen Transformation550-1. In der demn?chst erscheinenden Baseler Dissertation des Herrn Th. Motzkin findet man u. a. notwendige und hinreichende Bedingungen f?r variationsvermindernde Transformationen. · JFM 56.0106.06 · doi:10.1007/BF01194637
[4] N. Obreschkoff, ?ber die Wurzeln algebraischer Gleichungen, Jahresbericht der Deutschen Math.-Vereinigung33 (1924), S. 52-64. Siehe auch M. Marden, A rule of signs involving certain orthogonal polynomials, Annals of Math. (2)33 (1931), S. 118-124.
[5] M. Fekete, Rendiconti di Palermo34 (1912), S. 92-93.
This reference list is based on information provided by the publisher or from digital mathematics libraries. Its items are heuristically matched to zbMATH identifiers and may contain data conversion errors. In some cases that data have been complemented/enhanced by data from zbMATH Open. This attempts to reflect the references listed in the original paper as accurately as possible without claiming completeness or a perfect matching.