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Differential algebra. (English) Zbl 0037.18402

Das vorliegende Buch stellt gewissermaßen eine Zweitauflage der Colloquium Publication 14 von 1932 [Differential equations from the algebraic standpoint. New York: American Mathematical Society (1932; Zbl 0005.39404)] dar. Es ist aber ein völlig neues Werk, da die behandelte Theorie sich in den letzten 18 Jahren mächtig weiterentwickelt hat (vgl. die Einleitung, sowie das Literaturverzeichnis am Schlusse des Buches). Auf zahlreiche, bisher noch ungelöste Probleme weist Verf. in einem Appendix hin. Bedauernswert knapp ist das Sachverzeichnis; zum mindesten die kursorische Lektüre wird dadurch ziemlich erschwert. Andererseits ist die Sorgfältigkeit und Klarheit der Definitionen im Text besonders hervorzuheben. Sehr wertvoll ist es, daß die allgemeinen Überlegungen immer wieder durch Beispiele verdeutlicht werden.
Die Eigenart des Buches läßt sich kurz so charakterisieren: Nach dem Vorbild der Nullstellentheorie der Polynomideale wird eine entsprechende Theorie für Ideale von gewöhnlichen, formalen oder analytischen Differentialpolynomen (kurz D. P.) entwickelt. Die Ergebnisse werfen insbesondere auf die schwierigen Fragen, die mit den singulären Lösungen von Differentialgleichungssystemen zusammenhängen, neues Licht; so liefern sie z. B. ein einfaches und allgemeines Kriterium dafür, daß eine singuläre Lösung einer Differentialgleichung in der „allgemeinem Lösung“ enthalten ist. Auf der anderen Seite gewinnt man wichtige Einsichten in die Beziehungen, die zwischen den Lösungsmannigfaltigkeiten zweier Differentialgleichungen bestehen. Ein großer Teil der Resultate läßt sich, wie im Schlußkapitel IX kurz gezeigt wird, von den gewöhnlichen auf partielle Differentialgleichungen übertragen. Für den analytischen Fall braucht man dabei das in Kapitel VIII behandelte Riquiersche Existenztheorem für orthonome Systeme.
Beschränken wir uns der Kürze halber auf formale, gewöhnliche Differentialgleichungen, so lassen sich die wichtigsten Begriffsbildungen und Ergebnisse folgendermaßen zusammenfassen: Gegeben sei ein Differentialkörper (D.-Körper), d. h. ein Körper \(\mathfrak F\) der Charakteristik 0, für dessen Elemente eine unbeschränkt, ausführbare, den Bedingungen \((a+b)'= a'\cdot b + a\cdot b'\) genügende „Differentiation“ definiert ist. \(y_i = y_{i_0}\) \(i = 1,\ldots,n)\) seien endlich viele Unbestimmte mit den formalen, durch die Gleichungen \(y'_{ik}= y_{ik+1}\) \(( i = 1,\ldots,n; k = 0,1, \ldots)\) gekennzeichneten Ableitungen \(y_{ik}\) \((k = 1, 2, \ldots)\). Ein System von D. P., d. h. von Polynomen in den \(y_{ik}\) über \(\mathfrak F\) heißt Ideal, wenn es hinsichtlich der Addition und Multiplikation die üblichen Idealeigenschaften besitzt und außerdem gleichzeitig mit einem D. P. \(A(y)\) stets auch \((A(y))'\) enthält. Die in \(\mathfrak F\) oder einem \(D\)-Oberkörper \(\mathfrak F_1\) liegenden Nullstellen des D. P. \(A(y)\) bzw. des Ideals \(\mathfrak a\) [Lösungen von \(A(y) = 0\) bzw. \(\mathfrak a = 0\)] werden genau so definiert wie bei gewöhnlichen Polynomen. Die Menge aller Nullstellen von \(A(y)\) bzw. \(\mathfrak a\) bildet die zu \(A(y)\) bzw. \(\mathfrak a\) gehörige Mannigfaltigkeit. Ein Ideal \(\mathfrak a\) hat stets dieselbe Mannigfaltigkeit wie das zugehörige perfekte Ideal (Radikal) \(\mathfrak r\), d. h. das Ideal aller D. P., von denen eine endliche Potenz in \(\mathfrak a\) liegt.
In Kap. I wird vor allem gezeigt, daß zwar keineswegs jedes Ideal, wohl aber jedes perfekte Ideal eine endliche Basis besitzt. Daraus folgt in bekannter Weise, daß jedes perfekte Ideal Durchschnitt von endlich vielen Primidealen (im üblichen Sinne) ist.
In Kap. II wird genau wie bei den Polynomidealen zu jedem Primideal \(\mathfrak p\) eine „allgemeine Nullstelle“ konstruiert und die Dimension \(d\) definiert [\(d\) ist die größte nichtnegative Zahl, für die \(\mathfrak p\) kein D. P. enthält, das bei passender Numerierung nur von \(y_{1k}, y_{2k}, \ldots, y_{dk}\) \((k = 0, 1, \ldots)\) abhängt]. Ein Hauptergebnis von Kap. II ist, daß die Untersuchung der Mannigfaltigkeit eines beliebigen Ideals \(\mathfrak a\) durch Resolventenbildung auf die Betrachtung der Mannigfaltigkeit eines einzelnen D. P. \(A(y)\) zurückgeführt werden kann. Zum besseren Verständnis der sehr mühsamen, zur Resolventenkonstruktion nötigen Überlegungen sei dem Leser empfohlen, Kap. IV vorweg zunehmen, in dem die Nullstellentheorie der algebraischen Gleichungen, vorwiegend im Geiste Kroneckers, entwickelt wird.
Über die Lösungen von \(A(y) = 0\), die in üblicher Weise in reguläre und singuläre eingeteilt werden, liefern Kap. II und III folgende Hauptresultate: Alle Primidealkomponenten \(\mathfrak p_1, \ldots, \mathfrak p_m\) des zum Hauptideal \((A)\) gehörigen perfekten Ideals \(\mathfrak r\) haben die genaue Dimension \(n-1\). Für ein \(\mathfrak p_i\) etwa für \(\mathfrak p_1\) enthält die zugehörige Mannigfaltigkeit \(M_1\) alle regulären Lösungen von \(A(y) = 0\), die Mannigfaltigkeiten \(M_i\) der übrigen \(\mathfrak p_i\) bestehen ausschließlich aus singulären Lösungen. \(M_1\) repräsentiert demnach die „allgemeine“ Lösung von \(A(y) = 0\) und die Zugehörigkeit einer singulären Lösung zu \(M_1\) ist als das Kriterium dafür anzusehen, daß diese Lösung „in der allgemeinen enthalten ist“. Jedes \(M_i\) ist die allgemeine Lösung eines passenden D. P. \(\mathfrak p_i\). Ist \(B(y)\) ein D. P., dessen allgemeine Lösung \(N_1\) in der Gesamtmannigfaltigkeit \(M = M_1\cup \cdots M_m\), von \(A(y)\) enthalten ist, so existiert ein rechnerisches Kriterium (low power theorem) dafür, daß \(N_1\) mit einer der Komponenten \(M_i\) zusammenfällt.
In Kap. V wird, gestützt auf Kap. IV, ein Algorithmus gewonnen, um zu jeder Mannigfaltigkeit \(M_i\) von \(\mathfrak a\) mit endlich vielen Schritten ein zu dem \(M_i\) definierenden Primideal \(\mathfrak p_i\) „äquivalentes“ Ideal \((B_{1y}(y), \ldots, B_{it_i}(y))\) zu berechnen, das ebenfalls \(M_i\) als zugehörige Gesamtmannigfaltigkeit besitzt. Allerdings läßt sich dabei die Anzahl der nötigen Schritte nicht von vornherein abschätzen. Dafür ist es wenigstens möglich, zu jedem \(\mathfrak p_i\) streng finit ein „charakteristisches System“ von D. P. zu bestimmen, wobei die Bedeutung dieses Systems durch die Analogie mit dem algebraischen Fall so verdeutlicht werden kann: Bei einem \(d\)-dimensionalen Polynomprimideal \(\mathfrak p\) in \(y_1,\ldots, y_n\) würden die Polynorne \(p_i(y_1, \ldots, y_{d+i})\) \((i = 1, \ldots, n - d)\) ein charakteristisches System darstellen, wenn nach Adjunktion von \(y_1,\ldots, y_d\) zum Grundkörper das Erweiterungsideal von \(\mathfrak p\) die Basis \((p_1, \ldots, p_{n-d}\), besäße.
Kap. VI ist analytischen Betrachtungen gewidmet. Die Ergebnisse der durch zahlreiche Beispiele ausgezeichneten Untersuchungen von Kap. VII über die Durchschnitte der Mannigfaltigkeiten von D. P.-Idealen sind größtenteils negativ. Sie lehren, daß trotz vieler Analogien bei den D. P. doch wesentlich kompliziertere Verhältnisse vorliegen als bei gewöhnlichen Polynomen. Hingewiesen sei vor allem auf die an klassische Jacobische Ansätze anknüpfenden Betrachtungen, die sich (anschaulich gesagt), mit der Anzahl der in der allgemeinen Lösung eines Differentialgleichungssystems von \(n\) Gleichungen in \(n\) Unbekannten auftretenden Konstanten befassen, und die zu dem Ergebnis führen, daß hier mit einem ähnlich befriedigenden Theorem wie dem Bézoutschen Satz der Algebra nicht gerechnet werden darf.

MSC:

12H05 Differential algebra
12-02 Research exposition (monographs, survey articles) pertaining to field theory
34-02 Research exposition (monographs, survey articles) pertaining to ordinary differential equations

Citations:

Zbl 0005.39404
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