×

Mathematics in the Middle East. The history of mathematics in ancient Egypt and Mesopotamia. (Mathematik im Vorderen Orient. Geschichte der Mathematik in Altägypten und Mesopotamien.) (German) Zbl 1412.01002

Berlin: Springer Spektrum (ISBN 978-3-662-56793-7/pbk; 978-3-662-56794-4/ebook). viii, 447 p. (2019).
Der vorliegende Band ist als Vorspann der beiden Bücher des Autors [Die antike Mathematik. Eine Geschichte der griechischen Mathematik, ihrer Probleme und Lösungen. Heidelberg: Springer Spektrum (2014; Zbl 1284.01001)] und [Mathematik im Mittelalter. Die Geschichte der Mathematik des Abendlands mit ihren Quellen in China, Indien und im Islam. Heidelberg: Springer Spektrum (2016; Zbl 1361.01001)] zu betrachten. Das erste Kapitel dreht sich um “ex oriente lux”, die Sonderstellung der Griechen in der Mathematikgeschichte, Eurozentrismus und Afrozentrismus, sowie das Problem der besten Übersetzung klassischer Texte. Eine zentrale Rolle nimmt dabei S. Unguru’s Schmähschrift [Arch. Hist. Exact Sci. 15, 67–114 (1975; Zbl 0325.01002)] ein. Bedauerlicherweise scheinen dem Autor die relevanten Artikel von V. Blåsjö über geometrische Algebra [ibid. 70, No. 3, 325–359 (2016; Zbl 1379.01005)], über die Eigenheiten mancher moderner Vertreter der Geschichte der Mathematik [“A critique of the modern consensus in the historiography of mathematics”, J. Humanistic Math. 4, No. 2, 113–123 (2014; doi:10.5642/jhummath.201402.12)] und von V. Blåsjö und J. Hogendijk über die Schwierigkeiten, heutige Leser an klassische Texte heranzuführen [ISIS 109, No. 4, 774–781 (2018; Zbl 1411.01034)], unbekannt geblieben zu sein.
Das erste der beiden eigentlichen Kapitel ist der ägyptischen Mathematik gewidmet und nimmt naturgemäß einen kleineren Raum ein, da uns nur wenige Papyri mathematischen Inhalts bekannt sind, vor allem natürlich der Papyrus Rhind und der Papyrus Moskau. Als Epilog findet sich das wohlbekannte Problem der gekreuzten Leitern, das nach J. Lehmann [4000 Jahre Mathematik in Aufgaben. Band 1: So rechneten Ägypter und Babylonier. Leipzig: Urania-Verlag (1994; Zbl 0807.01001), Aufg. 38] 1912 bei Ausgrabungen im Niltal als Teil einer Wandinschrift gefunden worden sein soll. Lehmann macht keine näheren Angaben zum Ursprung des Problems; vermutlich ist die Geschichte allerdings einer Erzählung des Schriftstellers Alexander Kasanzew entsprungen und damit definitiv kein Beispiel ägyptischer Mathematik.
Das Kapitel über Mathematik in Mesopotamien präsentiert die ganze Bandbreite der babylonischen Mathematik. Etwas unglücklich erscheint die Entscheidung, die Abschnitte nach den Museen zu ordnen, in denen die entsprechenden Tafeln aufbewahrt werden, anstatt etwa nach Inhalten (Metrologie, Tabellen, Arithmetik und Geometrie). So bleibt es die Aufgabe des Lesers, sich aus den zahlreichen Beispielen einen Überblick über die Leistungen der babylonischen Mathematik zu verschaffen. Die Darstellung der Probleme und der Lösungen benutzt die moderne algebraische Schreibweise, was den Lesern die Arbeit deutlich erleichtert; auf der anderen Seite erscheint der Umgang mit moderner Algebra manchmal etwas sorglos, und eine stärkere Berücksichtigung der Erkenntnisse Hoyrups (siehe etwa [J. Høyrup, Algebra in cuneiform. Introduction to an Old Babylonian geometrical technique. Berlin: Edition Open Access, Max Planck Institute for the History of Science (2017; Zbl 1392.01003)]) hätte dem Buch in meinen Augen gut getan.
Etwas verwirrend ist die Verweistechnik: so hat jedes der drei Kapitel ein eigenes Literaturverzeichnis, am Ende des Buchs gibt es noch eines, und darüber hinaus werden manche Literaturhinweise nur als Fußnote gegeben.
Trotz einiger Unzulänglichkeiten ist dieser Band ebenso zu empfehlen wie die beiden bereits zitierten Werke des Autors, den ich vor dem Vorwurf mangelnder Professionalität, der in den beiden Besprechungen anklingt, ausdrücklich in Schutz nehmen möchte. Es gab in der Vergangenheit viele Autoren, die sich in deutscher Sprache um die Verbreitung der Geschichte der Mathematik verdient gemacht haben, etwa Vogel, Neugebauer, Van der Waerden, Biermann, Scriba, Reich, Gericke, Damerow, Waschkies und Wussing, um nur einige zu nennen. Heute wird die Geschichte der Mathematik an deutschen Universitäten kaum noch gepflegt, und daher sollte man vor der Leistung von “Laien”, die sich dieses Themas mit viel Hingabe annehmen, den Hut ziehen – und das sei hiermit getan.

MSC:

01-01 Introductory exposition (textbooks, tutorial papers, etc.) pertaining to history and biography
01A16 History of Egyptian mathematics
01A17 History of Babylonian mathematics
PDFBibTeX XMLCite
Full Text: DOI