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Zur Randverzerrung bei konformer Abbildung. (German) JFM 62.0381.04

Es wird das asymptotische Verhalten der konformen Abbildung zweier (einfach zusammenhängender) Gebiete in der Nähe zugeordneter erreichbarer Randpunkte sowohl nach Richtungen wie nach Abständen untersucht.
Für beide Gesichtspunkte gibt der Verf. hier abgerundete, z. T. sogar abschließende Sätze, die über das umfangreiche Schrifttum oft weit hinausgehen; das gilt ebenso für den Inhalt der Sätze wie für die Beweismethode. Sie stützt sich erstens auf das Poissonsche Integral (in einfacheren Anwendungsformen als in der letzten großen Arbeit des Verf. über den Gegenstand, Acta math., Uppsala, 64 (1935), 81-184; JFM 61.0359.*-361) und zweitens besonders auf die harmonische Maßtheorie. Diese hat ja in den letzten Jahren in verschiedensten Gebieten der Funktionentheorie wesentliche Fortschritte gebracht; für den Begriff des harmonischen Maßes \(\omega(z, \gamma, \mathfrak G)\) einer Randpunktmenge \(\gamma\) des Gebiets \(\mathfrak G\), vom Punkte \(z\) gemessen, können wir verweisen auf unsere Referate über Nevanlinna (1936; F. d. M. \(62_{\text I}\), bes. S. 315/316), und Beurling (Thèse, 1933; F. d. M. \(59_{\text{II}}\), 1042-43); Verf. spricht vom charakteristischen Potential \(P_{\mathfrak G,\gamma}(z)\) an Stelle von \(\omega\) und vom konformen Winkel und konformen Maß \(m_{\mathfrak G,z}\gamma\) an Stelle von \(2\pi\omega\).
Gegenüber dem bisherigen Schrifttum auf diesem Gebiet haben die Beweise durch folgerichtige Benutzung derartiger Mittel sehr an Durchsichtigkeit und Kürze gewonnen. Eine weitere Vereinfachung gelingt offensichtlich dadurch, daß der Verf. “natürlichen” Aussagen viel näher gekommen ist, als es bisher gelungen war; anderseits freilich bringt die zunehmende Verschärfung der Ergebnisse Erschwerungen mit sich. Die Annahmen über die Struktur der Randbögen, die in den betrachteten erreichbaren Randpunkt münden, sind sehr allgemein. Es ist ein Hauptvorteil der harmonischen Maßtheorie, daß die potentialtheoretischen Schlüsse dadurch nicht wesentlich berührt werden, wegen der großen Allgemeinheit und Tragweite des Begriffs “harmonisches Maß”; umfangreicher wird vor allem, was zur Beschreibung der geometrischen Verhältnisse getan werden muß.
Der Kürze wegen geben wir zunächst eine Übersicht der Bezeichnungen, z. T. etwas abweichend von Ostrowski, zumal er die seinen nicht ganz einheitlich wählt und an das Gedächtnis des Lesers nicht unerhebliche Ansprüche stellt. Wir haben zwei Ebenen, in denen wir zugeordnete Dinge mit entsprechenden griechischen bzw. lateinischen Buchstaben benennen: \(\zeta\) und \(z\); darin je ein einfach zusammenhängendes Gebiet \(\varGamma\) und \(G\) mit erreichbaren Randpunkten über \(\infty\), \(\zeta_\infty\) und \(z_\infty\). Diese Gebiete seien konform aufeinander bezogen durch \(\zeta=\varphi(z)\) und \(f(\zeta) = z\), derart daß \(\zeta_\infty\) und \(z_\infty\) sich entsprechen. In jedem Gebiet wird nach Wahl eines Polarkoordinatenursprungs \(\zeta_0\) bzw. \(z_0\) (außen oder auf dem Rande!) die Funktion arg \((\zeta-\zeta_0)\) bzw. arg \((z - z_0)\) in die Randpunkte “stetig” fortgesetzt; das erfordert bei kompliziertem Rand, wie etwa nicht punktförmigen Primenden, eingehende Betrachtungen. Eine Jordankurve, die nach \(\zeta_\infty\) mündet, oder ein solcher Randbogen (er braucht keine Jordankurve zu sein) habe im Unendlichen die Grenzrichtung \(\alpha\), wenn auf ihr nach dieser stetigen Ergänzung das Argument \(\arg (\zeta-\zeta_0)\) gegen \(\alpha\) strebt. Mit \(\varLambda\) bezeichnen wir eine Jordankurve, die in \(\varGamma\) nach \(\zeta_\infty\) führt und für die die Grenzrichtung \(\lambda\) existiert; entsprechend \(L, l\) in der \(z\)-Ebene. Die Kreisbogen von \(|z|=r\) in \(G\) heißen \(K_r\), ihre \(\zeta\)-Bilder \(\mathbf{K}_r\); die Kreisbogen von \(|\zeta|= \varrho\) in \(\varGamma\) heißen \(\varTheta_\varrho\), ihre \(z\)-Bilder \(T_\varrho\). Manche Aussagen beziehen sich auf eine normierte Gestalt von \(G\) – wir bezeichnen dann mit \(H_z\) die rechte Halbebene, mit \(S_w\) den Parallelstreifen \(|\mathfrak J w|<\dfrac{\pi}2\). Mit P endlich bezeichnen wir einen der beiden Randzweige von \(\varGamma\), der (mit der Grenzrichtung \(\psi\)) nach \(\zeta_\infty\) mündet.
Im ersten Kapitel stützt sich der Verf. nur auf das Poissonsche Integral und studiert mit seiner Hilfe jene im Streifen \(S_w\) regulär harmonische und gleichmäßig beschränkte Funktion \(\varPhi(w)\), die entsteht, wenn man nach der Zuordnung \(\varGamma\longleftrightarrow H_z\) noch \(H_z\) nach \(S_w\) abbildet, als \(\varPhi(w)=\arg (\zeta(w)-\zeta_0)\). Gibt es in \(S_w\) zwei \(L\to+\infty\) mit Asymptoten \(\mathfrak J w =v_1,v_2\) im Streifeninneren, die Zielwege für \(\varPhi(w)\) sind mit den Zielwerten \(l_1\), \(l_2\), so ist jedes \(L\to+\infty\) mit Asymptote \(\mathfrak J w = v\) in \(S_w\) Zielweg, und der Zielwert folgt durch lineare Interpolation; gleichmäßig in jedem Teilstreifen gilt \[ \varPhi(w)-\frac{l_2-l_1}{v_2-v_1}(v-v_1)-l_1\to 0. \]
Bildet man nun allgemein \(\varGamma\longleftrightarrow G\) ab, und ist nach stetiger Fortsetzung der Argumente in den Rand \(\delta_1 <\lambda<\delta_2\) das größte offene Intervall, welches von den Grenzrichtungen \(\lambda\) der \(\varLambda\) in \(\varGamma\) ganz erfüllt wird, anderseits \(d_1\leqq l\leqq d_2\) das kleinste abgeschlossene Intervall, welches die Grenzrichtungen \(l\) aller \(L\) in \(G\) einschließt, so gilt folgender Satz:
Ist die Abbildung längs zweier Jordankurven \(\varLambda_1\), \(\varLambda_2\) “konvergenzerhaltend” (aus \(\arg (\zeta-\zeta_0)\to\lambda\) folgt \(\arg (z-z_0)\to l\); Verf. spricht von “konform längs \(\varLambda\)”), so gilt gleiches für alle \(\varLambda\), und man findet die Grenzrichtungen der Bildkurven \(L\) wieder wie oben durch lineare Interpolation \(l = a\lambda+b\); \(a=\dfrac{d_2-d_1}{\delta_2-\delta_1}=1\) bedeutet Winkeltreue im Unendlichen, \(a\neq 1\) Winkelproportionalität, \(a = 0\) Spitzenabbildung. Winkeltreue bei der Abbildung \(\varGamma\longleftrightarrow H_z\), \(a =1\), tritt nach diesem Satze offenbar dann und nur dann ein, wenn \(\varGamma\) keinen Winkelraum der Öffnung \(\pi+\varepsilon\) ganz enthält, wohl aber für jedes \(\varepsilon > 0\) einen Winkelraum der Öffnung \(\pi-\varepsilon\) bei geeignet gewähltem Scheitel und geeigneter Orientierung.
Diese Tatsachen hängen nicht ab von der Normierung der Abbildung durch die Zuordnung zweier Aufpunkte \(\zeta^*\longleftrightarrow z^*\) aus dem Inneren von \(\varGamma\) und \(H_z\), die noch verfügbar ist. Sie bleiben auch bestehen, wenn man etwa von \(\varGamma\) ein beliebiges endliches Stück abtrennt, mit anderen Worten, sie hängen nur an der Struktur von \(\varGamma\) in der (topologischen) Nähe von \(\zeta_\infty\). Die Abbildung \(\varGamma\longleftrightarrow H_z\) ist im wesentlichen eine Potenztransformation \[ \frac{\varphi(z')}{\varphi(z)}=\left(\frac{z'}z\right)^ {\tfrac{\lambda_2-\lambda_1}{l_2-l_1}+\varepsilon(z,z')} \] (\(\varepsilon(z,z')\) strebt nach null, wenn \(z\), \(z'\) Winkel \(| \arg z|<\dfrac\pi 2-\delta\) nach \(\infty\) gehen). Ist \(\lambda_2\neq \lambda_1\), so gilt ebenda \[ \arg\varphi'(z)-\arg\frac{\varphi(z)}z\to 0, \] woraus Schlüsse auf die Existenz von \(\lim \arg \varphi'(z)\) und der Winkelderivierten \(\lim\varphi(z) : z\) für \(z\) im Winkel \(\to\infty\) gezogen werden können.
Im zweiten Kapitel werden die Grundtatsachen der harmonischen Maßtheorie für einfach zusammenhängende Gebiete entwickelt und das harmonische Maß bei einer Reihe besonderer Figuren berechnet oder abgeschätzt. Dazu wird auch hier das Prinzip der Gebietserweiterung benutzt und in einer sehr allgemeinen Form streng bewiesen. Verf. bezeichnet es als Löwner-Montelsches Lemma. (Dem Ref. möchte scheinen, daß die Verdienste skandinavischer Mathematiker mit diesem Namen zu Unrecht übergangen werden: Der Kerngedanke steckt schon in Arbeiten von Lindelöf, zuerst ist es explizit von Carleman 1921 für die Bezwingung eines hochwichtigen funktionentheoretischen Problems bewußt ausgenutzt (Ark. Mat. Astron. Fys. 15, Nr. 10; F. d. M. 48, 355 (JFM 48.0355.*)), dann von Nevanlinna planmäßig angewandt und ausgebaut worden. Jedenfalls wäre aber hier der sachliche Name einer persönlichen Benennung vorzuziehen.) Unter Benutzung des tiefliegenden Millouxschen Satzes in sehr scharfer Form und mit genauer Konstante (dieser Satz ist eines der Haupttheoreme der harmonischen Maßtheorie) beweist Verf. folgenden Satz:
Ein Gebiet \(\mathfrak G\) enthalte \(\infty\) nicht als Innenpunkt; es habe eine harmonisch meßbare Randpunktmenge \(\gamma\) in \(|z|\leqq\varrho\). Ist dann \(z'\) ein Punkt mit \(|z'| > \varrho\), so wird das harmonische Maß von \(\gamma\) in bezug auf \(\mathfrak G\) im Punkte \(z'\) \[ \omega(z',\gamma,\mathfrak G)\leqq\frac2\pi\arcsin\frac{2\sqrt{|z'|\varrho}} {\varrho+|z'|}<2\sqrt{\frac\varrho{|z'|}}. \] Das Gleichheitszeichen gilt nur in einem genau angebbaren trivialen Fall.
Dieser Satz ist das wesentliche Hilfsmittel für den Beweis des folgenden Hauptsatzes (man könnte diesen aber auch mit geringeren Hilfsmitteln der Maßtheorie -ohne den Millouxschen Satz – aber viel umständlicher erhalten):
Hauptsatz über die Winkelproportionalität. Der Randpunkt \(\zeta_\infty\) von \(\varGamma\) sei “genau in \((\psi_1,\psi_2)\) erreichbar”, d.h. die Grenzrichtungen \(\lambda\) aller Jordankurven \(\varLambda\to\zeta_\infty\) in \(\varGamma\) erfüllen genau jenes Intervall. Es gebe ferner auf den beiden Randstücken \(\mathbf{P}^{(i)}\to\zeta_\infty\) (\(i = 1, 2\)) von \(\varGamma\) je eine unendliche Folge von Punkten, derart daß gilt: \[ |\zeta_\nu^{(i)}|\uparrow\infty,\qquad |\zeta_{\nu+1}^{(i)}:\zeta_\nu^{(i)}|\to 1,\qquad \arg(\zeta_\nu^{(i)}-\zeta_0)\to\varphi_i. \] Diese Bedingungen sind notwendig und hinreichend, damit die Abbildung \(\varGamma\longleftrightarrow H_z\) in \(\zeta_\infty\longleftrightarrow z_\infty\) winkelproportional sei.
Dieser Satz besagt, daß die beiden Randbogen \(\mathbf{P}^{(i)}\) von \(\varGamma\), die nach \(\zeta_\infty\) münden, zwar keine Jordankurven zusein brauchen und auch keine Grenztangenten haben müssen, daß sie aber doch mit solchen Kurven eine recht dichte Punktmenge gemein haben müssen. Der Sonderfall \(\psi_2-\psi_1=\pi\) betrifft winkeltreue Abbildung.
Während bisher nur das Verhalten der Richtungen untersucht wurde, wendet sich Verf. im dritten Kapitel dem Verhalten der absoluten Beträge der Alibildungsfunktionen zu, unter der Annahme, daß die Gebiete \(\varGamma\longleftrightarrow H_z\), mit \(\zeta_\infty\longleftrightarrow z_\infty\),winkeltreu (oder doch winkelproportional) zugeordnet seien und daß sich die Richtungen der positiv reellen Achsen im Unendlichen entsprächen; er studiert dazu die \(\zeta\)-Bilder \(\mathbf{K}_r\) der Kreise \(K_r\), (\(|z|=r\), in \(H_z\)) bzw. die \(z\)-Bilder \(T_\varrho\) der Kreisbogen \(\varTheta_\varrho\) (\(|\zeta| = \varrho\), in \(\varGamma\)).
Als wesentlicher Hilfsbegriff dient der faltenfreie Kern \(\varGamma^*\) von \(\varGamma\). Er entsteht, wenn man den Kreisbogen \(|\zeta|=\varrho\) vom Punkte \(\zeta=\varrho\) aus nach beiden Seiten bis zum ersten Randpunkt von \(\varGamma\) verfolgt und alle diese Bogen zu einem Gebiet vereinigt; die Achse \(\zeta=\varrho\) gehört unter obigen Annahmen für \(\varrho>\varrho^*\) ganz zu \(\varGamma\). Von \(\varGamma\) werden so gewisse Gebiete durch wohlbestimmte Kreisbogen abgetrennt, die Hauptfalten \(\mathfrak F\). Trennt man dagegen von \(\varGamma\) irgend ein Stück, das \(\zeta=0\) nicht enthalte, durch einen beliebigen Kreisbogen \(|\zeta|=\varrho\) ab, so heiße es eine Nebenfalte \(\mathfrak f\).
Drei verwandte Aussagen beherrschen die Zuordnung \(\varGamma\longleftrightarrow H_z\).
1. In der Richtung \(H_z\to \varGamma\): Alle Punkte des \(\zeta\)-Bildes \(\mathbf{K}_r\) von \(K_r\), welche in den faltenfreien Kern \(\varGamma^*\) fallen, erfüllen die Ungleichung \[ 1-\varepsilon<|\varphi(z):\varphi(r)|<1+\varepsilon, \tag{\text{\(\varepsilon>0\)}} \] sobald \(r > R_\varepsilon\) gewählt ist.
2. Erster Faltensatz, in der Richtung \(\varGamma\to H_z\): Jedem Punkte \(\zeta\) in \(\varGamma\) sei ein Radius \(\varrho_\zeta\) zugeordnet: Ist \(\zeta\) im faltenfreien Kern, so sei \(\varrho_\zeta=|\zeta|\); und liegt \(\zeta\) in einer (Haupt)-Falte, so sei \(\varrho_\zeta\) gleich dem Radius des wohlbestimmten Kreises, der diese Falte von \(\varGamma\) abschneidet. Dann gilt \[ |f(\zeta) : f(\varrho_\zeta)|\to 1, \] wenn \(\zeta\) in \(\varGamma\) oder auf dessen Rand gegen den erreichbaren Randpunkt \(\zeta_\infty\) rückt.
Diese beiden Sätze zeigen in beiden Richtungen, wie das asymptotische Verhalten im wesentlichen auf das Verhalten “in der Mitte” der Gebiete zurückgeführt wird; man könnte daran denken, daß die Abbildung der positiv reellen Achse “wenig” von den weiter ab gelegenen Falten gestört wird.
Ein dritter Satz dient dem Studium der Abbildung \(H_z\longleftrightarrow\varGamma\) für den Fall, daß man tiefer in die Falten hineinkommt, was unter 1. ausgeschlossen war; er benutzt nicht mehr die Hauptfalten allein, sondern gilt in gleicher Weise auch für die (beliebig abgetrennten) Nebenfalten:
3. Zweiter Faltensatz, in der Richtung \(H_z\to\varGamma\): Dringt das Bild \(\mathbf{K}_r\) von \(K_r\) in eine Falte \(\mathfrak f\) ein, die durch einen Kreisbogen vom Radius \(\varrho\) und vom Zentriwinkel \(\vartheta\) von \(\varGamma\) abgeschnitten wird, so gilt für alle seine Punkte in \(\mathfrak f\) die Abschätzung \[ e^{-k\vartheta}<|\varphi(z):\varrho|<e^{+k\vartheta}. \] Dabei ist \(k\) eine absolute Konstante, die gleich \(\frac12+\sqrt3\) gesetzt werden kann.
Aus diesen Sätzen ergeben sich unter zusätzlichen Annahmen (wie Unbewalltheit, Rand gleich Jordankurve, womöglich mit Grenztangente in \(\zeta_\infty\) u. a. m.) weitere besondere Sätze, die z. T. in schwächerer Form schon in der Literatur vorlagen.

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